Zwischen Leitstelle und Lebensrettung: Der Telenotarzt im Praxischeck

Notfallsanitäter Michael Gilbert im Rettung Digital Interview

Inmitten des Einsatzgeschehens zählt jede Sekunde – und digitale Innovation kann hier den entscheidenden Unterschied machen. Michael Gilbert, erfahrener Notfallsanitäter, spricht im Interview über seine persönlichen Erfahrungen mit dem System Telenotarzt (TNA). Wie verändert es die Zusammenarbeit im Rettungsdienst? Welche Vorteile bringt es für Patienten und Fachpersonal? Und wie fühlt es sich an, einen Arzt im Ohr zu haben? Ein ehrlicher Einblick in die neue Realität der präklinischen Notfallversorgung – und ein Appell für mehr Vertrauen in Technik und Teamwork.

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Welche Vorteile bietet das TNA-System deiner Meinung nach für die Patientenversorgung im Vergleich zu traditionellen Methoden?

Der Einsatz eines TNA-Systems kann die Notärztliche Expertise schneller an die Einsatzstelle bringen, da es, gerade im ländlichen Raum ein dichtes Netz an Rettungswagenstandorten gibt. Gerade das TNA-System von Umlaut bietet beiden Seiten, sowohl dem Telenotarzt als auch mir als Anwender im Rettungswagen dabei ein höchstmögliches Maß an Flexibilität ohne dabei Kompromisse eingehen zu müssen. Das Rettungsfachpersonal kann hierbei selbst entscheiden, wann sie den Telenotarzt konsultiert, ob in der frühen Phase des Einsatzes bei einem kritischen Patienten, oder auch zu einem späteren Zeitpunkt des Einsatzes. Hierbei kann beispielsweise auf mitgeführte Headsets oder das Smartphone mit der TNA-Applikation zurückgegriffen werden.

Wie hat sich die Zusammenarbeit im Rettungsdienst durch die Etablierung des TNA-Systems verändert?

Mit der Einführung des TNA-Systems ist auf beiden Seiten der Nutzenden das Vertrauen enorm gewachsen. Für die Notärztlichen Kolleginnen und Kollegen ist es sicherlich eine der größten Hürden den Patienten nicht mit den eigenen Händen zu behandeln, sondern das Rettungsfachpersonal als „verlängerte Arme und Hände“ im Rahmen der telenotärztlichen Konsultation zu nutzen. Für die Notfallsanitäterinnen und -sanitäter ist das in sie gesetzte Vertrauen in Kombination mit der verbundenen rechtlichen Sicherheit sicherlich eine der positivsten Veränderungen. Für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter sind die größten Vorteile aus meiner Sicht Kompetenzgewinn und -erhalt.

Wie hat sich deine Sichtweise auf telemedizinische Systeme im Rettungsdienst nach deiner aktiven Zeit verändert?

Durch die Implementierung telemedizinischer Systeme kann zum einen, ergänzt durch Strukturierte Standard-Arbeitsanweisungen der Kompetenzerhalt des Rettungsfachpersonal intraprofessionell verbessert und gefördert werden, zum anderen kommen wir aus meiner Sicht so dem Ziel näher das richtige Rettungsmittel zum richtigen Patienten zu bringen.

Wie hat das TNA-System die Entscheidungsfindung in Notfallsituationen beeinflusst?

Gerade bei sehr kritischen Patienten kann die frühzeitige Konsultation des Telenotarztes das therapiefreie Intervall deutlich verkürzen bis zum Eintreffen des physischen Notarztes an der Einsatzstelle. Oftmals habe ich den Telenotarzt auch konsultiert, um mich in Entscheidungen abzusichern, aber auch um Fixierungsfehler zu vermeiden. Der Telenotarzt kann als „neutraler“ Berater nochmal andere Impulse setzen. Mit dem Telenotarzt konnte ich mich in Notfallsituationen voll und ganz auf die Versorgung des Patienten konzentrieren, während ich „im Ohr“ einen weiteren, wertvollen Teampartner hatte, der dezidiert die erhobenen Befunde auswerten konnte.

Welche Rückmeldungen hast du von Kollegen zur Nutzung des TNA-Systems erhalten?

Vor Nutzung des TNA-Systems war ich skeptisch. In meinem mentalen Modell ist der Telenotarzt bereits beim Erreichen der Einsatzstelle dabei.

In der Anwendung selbst profitiert das System jedoch davon, dass das Rettungsfachpersonal den Notfallpatienten bereits Leitliniengerecht und gemäß den regionalen Standard-Arbeitsanweisungen versorgt hat, sämtliche Vitalparameter erhoben hat und erst dann mit einer Verdachtsdiagnose den Telenotarzt konsultiert, sodass die Kosultationsdauer möglichst kurz ist, sämtliche Informationen kondensiert übergeben werden ist und der Telenotarzt zügig wieder weitere Notfälle übernehmen kann.

Über Michael Gilbert

Michael Gilbert ist Notfallsanitäter, Dozent im Rettungsdienst und seit 2013 in der präklinischen Notfallversorgung aktiv. Im Rahmen seiner Tätigkeit beim Rettungsdienst Aachen sammelte er ein Jahr Erfahrung mit dem TNA System. Seit 2020 ist Gilbert bei der ADAC Luftrettung tätig – unter anderem als TC HEMS. Heute verantwortet er die Koordination der Zusammenarbeit zwischen Leitstellen und Rettungshubschraubern für die ADAC Luftrettung  im Westen Deutschlands.

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