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Rettung Digital RETTmobil Edition: „Keep it stupid simple“

Christoph Graumann von corpuls im Rettung Digital Interview

Telemedizin ist längst mehr als ein Trend – sie ist eine zentrale Antwort auf die Herausforderungen im Rettungsdienst von heute und morgen. Auf der RETTmobil 2025 sprachen wir mit Christoph Graumann von corpuls über konkrete Innovationen, technische Redundanz, politische Hürden und die Vision eines vernetzten Notfall-Ökosystems. Warum einfache Lösungen oft die besten sind und welche Rolle der Mensch trotz aller Digitalisierung spielt – das erfahren Sie im Interview.

Mercedes Starke (ADAC Telenotarzt):
Christoph, schön dich hier am Stand von corpuls auf der RETTmobil 2025 zu treffen. Wie ist dein erster Eindruck von der Messe?

Christoph Graumann (corpuls):
Wie jedes Jahr: Es macht unglaublich viel Spaß. Wir haben hier eine tolle Mischung aus Anwendern, die täglich mit unseren Systemen arbeiten, bis hin zu nationalen und internationalen Entscheidern – aus allen Bundesländern.

Mercedes:
Unsere Content-Serie „Rettung Digital“ beschäftigt sich mit Innovationen im Rettungsdienst. Telemedizin ist da ein zentrales Thema – und bei euch ja schon lange Teil der DNA, oder?

Christoph:
Absolut. Viele kennen uns als Defibrillator-Hersteller, aber schon 1984 haben wir das erste EKG übertragen. Seit 15 Jahren arbeiten wir web-basiert, und seit 2021 sind wir auch im Bereich Telenotarzt aktiv.

Mercedes:
Welche Einsatzbereiche siehst du für den Telenotarzt – jetzt und zukünftig?

Christoph:
Der Telenotarzt ist bislang auf Rettungsdienste beschränkt, hauptsächlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aber wir wollen Telemedizin umfassender denken – über alle Stationen des Gesundheitswesens hinweg: vom Erstkontakt über Pflege, Klinik, bis in die Nachversorgung.

Mercedes:
Ein großes Thema ist dabei auch die Digitalisierung – etwa im Kontext der Notfallreform oder der elektronischen Patientenakte (ePA). Was ist eure Sicht?

Christoph:
Digitalisierung bietet riesige Chancen, aber sie muss richtig verstanden werden – als Prozessvereinfachung, nicht bloß als digitale Abbildung. Leider verhindert politisches Missverständnis von Datenschutz viele sinnvolle Anwendungen. Zum Beispiel könnten wir die ePA im Rettungsdienst längst nutzen – es gibt Schnittstellen –, aber gesetzlich ist der mobile Einsatz bislang nur Apotheken erlaubt. Die Notfallversorgung wird da schlicht nicht berücksichtigt.

Mercedes:
Ein Aspekt, der immer wieder diskutiert wird, ist die Verbindungsqualität – gerade auf Veranstaltungen wie dieser. Wie robust ist die Technik?

Christoph:
Natürlich gibt es Orte ohne Netz, aber das ist selten. Unsere Systeme sind seit 2021 im Einsatz – mit Ausfallquoten unter 2 %. Wenn man alle Mobilfunknetze kombiniert, sind weiße Flecken marginal. Und wenn es wirklich kein Netz gibt, machen wir einfach das, was wir die letzten 50 Jahre gemacht haben: ein NEF alarmieren.

Mercedes:
Was ist euer Konzept für Redundanz?

Christoph:
Technisch setzen wir auf eigene, hochverfügbare Cloud-Lösungen. Selbst bei einem regionalen Ausfall können wir nahtlos auf andere Rechenzentren umschalten. Personell ist Zusammenarbeit zwischen Telenotarztzentralen entscheidend – etwa um Pausen, Ausfälle oder steigende Einsatzfrequenzen abzufangen.

Mercedes:
Gibt es Innovationen, die ihr hier auf der Messe zeigt?

Christoph:
Unsere Softwarelösung corpuls.mission ist ein Konferenzsystem, das verschiedenste Akteure und Datenquellen an einem Notfallort zusammenführt – vom Hausarzt über die Klinik bis zur Giftnotrufzentrale. So bringen wir gebündelte Expertise und relevante Daten direkt zum Patienten – auch über Geräte hinweg, die nicht von corpuls stammen.

Mercedes:
Wohin geht die Zukunft der Telemedizin – können wir alles digitalisieren?

Christoph:
Es geht nicht um „alles digitalisieren“, sondern um sinnvolle Unterstützung. Der Mensch bleibt zentral. Systeme müssen einfach und intuitiv sein – kein komplexes IT-Tool. Unser Credo: „Keep it stupid simple“. Ziel ist es, dass der Anwender schnell, effizient und patientenzentriert handeln kann.

Mercedes:
Herzlichen Dank für den spannenden Einblick – ich schau jetzt noch im Biergarten vorbei!

Christoph:
Sehr gut – da gibt’s Weißbier und Weißwurst. Viel Spaß!


Über Christoph Graumann

Christoph Graumann ist seit 2016 bei corpuls und leitet den Bereich Anwendungssoftware mit 45 Mitarbeitenden. Als Notfallsanitäter und studierter Medizininformatiker (u. a. TU München, Johns Hopkins University) verbindet er Praxis und Technik. Er war an Forschungsprojekten zur Medizinrobotik und digitalen Diagnostik beteiligt und engagiert sich ehrenamtlich bei den Johannitern. Privat ist er zweifacher Vater und Gründer eines E-Learning-Startups für den Rettungsdienst.